„Es geht nur europäisch“ – Jean Asselborn bei Carolin Emcke über die Europawahl und die Zukunft der EU
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Vom 6. bis zum 9. Juni wird das Europaparlament neu gewählt – zum zehnten Mal. Wie es sich danach genau zusammensetzen wird, ist schwer abzusehen. Es gibt keine Umfragen für die europäische Ebene, weil die EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich wählen. Doch nationale Umfrageergebnisse prognostizieren einen Rechtsruck. Demnach könnten die Grünen und die Liberalen Sitze einbüßen. Die Rechtskonservativen und die Rechtsnationalisten könnten stark dazugewinnen.
Was könnte das für die Zukunft der Europäischen Union bedeuten – wenn etwa das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aus dem Europaparlament heraus angegriffen wird? Und wie sollte sich die EU in der Welt positionieren und ihre eigene Sicherheitsarchitektur aufbauen? Darüber spricht Jean Asselborn in dieser Folge von „In aller Ruhe“ mit Carolin Emcke.
Jean Asselborn wurde 1949 in Luxemburg geboren. Über viele Jahre engagierte er sich in Gewerkschaften und arbeitete für seine Partei, die luxemburgischen Sozialdemokraten, in der Kommunalpolitik, bevor er ins nationale Parlament gewählt wurde. Ab 2004 war er fast zwanzig Jahre lang Außenminister Luxemburgs. Durch seine klare Sprache und teils humorvollen Auftritte erlangte er dabei auch auf europäischer Ebene Bekanntheit. Gerade zum Ende seiner letzten Amtszeit war er aufgrund seiner Erfahrung ein gefragter Gesprächs- und Verhandlungspartner.
„Was wären wir ohne Europa?“
Im Podcast spricht er darüber, wie stark gerade kleine Staaten wie Luxemburg auf die europäische Zusammenarbeit angewiesen sind: „Europa ist unsere Garantie, dass wir als souveränes, freies Land existieren können.“ Historisch habe es allein im 20. Jahrhundert zwei Momente gegeben, an dem es kein souveränes Luxemburg mehr gegeben hätte. „Und heute sitzen wir mit am Tisch, wenn es um die Finanzpolitik in Europa geht. Wir können außenpolitisch mitreden.“ Auch andere Staaten würden so von der EU und ihren Werten profitieren, so Asselborn: „Ich glaube, die Deutschen waren nie so demokratisch wie sie es heute sind. Auch durch Europa.“ Durch den Euro sei Deutschland zudem wirtschaftlich stärker geworden.
Generell unterstreicht Asselborn immer wieder die zentrale Bedeutung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, hebt allerdings auch konkrete Errungenschaften für junge Menschen hervor, die von Erasmus-Studienaufenthalten profitieren oder im Schengenraum mit nur einem Pass reisen können. Mit Blick auf die EU-Osterweiterung ab 2004 sagt Asselborn: „Die Löhne in diesen Ländern haben sich verdoppelt. 20 Prozent mehr Menschen aus diesen Ländern haben ein Universitätsstudium.“ Die Länder hätten wirtschaftlich und sozialpolitische profitiert. „Das muss man sagen: Das ist ein Erfolg“, so Asselborn.
„Der Stimmzettel ist der größte Hebel, den man hat in der Demokratie.“
Die Europawahl am 9. Juni bereitet ihm dennoch große Sorgen. Sie könne entscheidend sein für den Kurs Europas. Entweder blieben Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Respekt vor Minderheiten bestehen – oder es werde ein Zeichen gesetzt, dass die, die Europa eigentlich kaputt schlagen wollen, stärker werden. „Wenn dieses Resultat herauskäme und wenn dann auch noch im November in den USA ein Präsident gewählt wird, der einen sehr negativen Einfluss hätte – mit falschem Patriotismus anstatt Multilateralismus – dann kann es schon gefährlich werden“, sagt Asselborn mit Blick auf die US-Wahl und einen möglichen Sieg von Ex-Präsident Donald Trump.
Dieser würde dem russischen Präsidenten Putin wohl große Zugeständnisse machen, mit Blick auf die Krim und den Donbass. Zudem bestehe die Gefahr, dass Trump die Nato zerschlagen könnte. „Dann kommt notgedrungen eine Debatte auf uns zu: Wer schützt uns gegen die nuklearen Angriffe der Russen?“ Wie Asselborn als langjähriger Außenpolitiker die europäische Sicherheitspolitik bewertet, die Debatte um eine eigene europäische Atombombe und wie er den Krieg in Gaza betrachtet, darum geht es im weiteren Gespräch mit Carolin Emcke.
Er hofft jedenfalls auf eine hohe Wahlbeteiligung und viel Engagement von jungen Menschen. In Deutschland können etwa erstmals die 16- und 17-Jährigen an die Urne, was Asselborn mit einem Appell verbindet: „Der Stimmzettel ist der größte Hebel, den man in der Demokratie hat, um die Weichen zu stellen.“
Empfehlung von Jean Asselborn
Jean Asselborn möchte in seiner Empfehlung Luxemburg mit Deutschland verbinden. Er empfiehlt das Theaterstück: „Stahltier – Ein Exorzismus“, geschrieben vom luxemburgischen Theaterregisseur Frank Hoffmann. Hoffmann leitete von 2004 bis 2018 als Intendant die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, ein bedeutendes Theaterfestival. Sein Werk „Stahltier“ wird nun am Renaissance-Theater Berlin aufgeführt. Es handelt von Leni Riefenstahl, die auf den nationalsozialistischen Propagandaminister Goebbels trifft. Es wirft, laut dem Theater, „Fragen auf zur Integrität und Menschlichkeit des Künstlers in Zeiten der Diktatur.“
Moderation: Carolin Emcke Produktion: Jakob Arnu
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