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EU-Europa – Realpolitik oder Ideologie?

18:08
 
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Manage episode 425588335 series 2125955
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Auch in diesem Jahr finden zwei sehr interessante internationale Gipfel statt, die für eine neue globale Entwicklung stehen. Der bereits im Juni stattgefundene G7-Gipfel in Italien sowie der BRICS+-Gipfel in Russland im Oktober. Auffällig ist, dass die Weltorganisation UNO immer weniger im Rampenlicht steht und stattdessen seit Jahren die G7, die G20 und mittlerweile das BRICS-Format – also interregionale Foren und Organisationen die internationale Bühne bestimmen. Die Marginalisierung der UNO ist jedoch nicht ein Ergebnis des Multipolarisierungsprozesses. Seine Anfänge liegen vielmehr in der Missachtung, ja sogar Verachtung der UNO während der Phase der unipolaren Weltordnung, der Pax Americana der 1990er- und 2000er-Jahre. Die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens (Jugoslawien 1999, Irak 2003, in gewissem Maße auch Libyen 2011 sowie die selbstherrliche Neuinterpretation des Völkerrechts bei der Zerlegung Jugoslawiens etc.) haben den Status und die Autorität der UNO nachhaltig erodieren lassen. Von Alexander Neu.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Aufkommen neuer interregionaler Foren und Regierungsorganisationen sind in Verbindung mit dem Erstarken des Nicht-Westens nahezu logische Entwicklungen. Wie bereits in vorangegangenen Beiträgen (beispielsweise hier) beschrieben, nimmt der weltpolitische Veränderungsprozess, der nichts weniger als einen Epochenbruch darstellt, auch strukturell immer rasanter an Fahrt auf. War der Begriff BRICS bis Anfang/Mitte der 2010er-Jahre ein Begriff, mit dem nur Fachleute und ein paar informierte Journalisten etwas anfangen konnten, so ist der internationale Wandlungsprozess und damit einhergehend sind die neu geschaffenen Strukturen, wie die BRICS+ und die SCO, nicht mehr zu übersehen bzw. totzuschweigen. Die Öffentlichkeit in Deutschland und in Europa wird zwar immer noch nicht hinreichend über diesen historischen Wandel zum Nachteil der westlichen Welt seitens der Mainstreammedien und der Politik informiert, vor allem nicht neutral, aber das öffentliche Interesse wächst. Dazu tragen zumindest die alternativen Medien bei.

Der sich abzeichnende Epochenbruch begann langsam, sehr langsam noch in den 2000er-Jahren. Die Enttäuschung über die westliche Hybris, der Welt die westlichen Werte und vor allem die westlichen Interessen aufzudrücken, war unübersehbar. Hier exemplarisch das Buch mit dem Titel „Macht und Ohnmacht“ des US-amerikanischen Neo-Cons Robert Kagan, zufällig auch der Ehemann von Victoria „Fuck-the-EU“ Nuland, aus dem Jahre 2003. In dem unterschied Kagan in klassisch kolonialistischer Weise zwischen dem Westen als Paradies und dem Rest der Welt als Dschungel, für den das Völkerrecht so nicht gelten könne. Ähnlich äußerte sich auch die EU-Außenkoryphäe J. Borrell 2022:

„Wir sind ein Garten, der Rest der Welt ist ein Dschungel.“

Im Gegensatz zu den Jahrhunderten davor bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts führte die Erkenntnis über die fortgesetzte westliche Hybris mit Alleinvertretungs- und Missionierungsanspruch für die Zivilisation nicht in Resignation und Unterwerfung, sondern in der Erkenntnis angesichts der Dynamiken, insbesondere in China, Indien und Russland: „Wenn ihr uns nicht als gleichberechtigte Akteure in den bestehenden internationalen Strukturen (WTO, Weltbank, IWF, UNO-Sicherheitsrat etc.) akzeptieren wollt, schaffen wir uns unsere eigenen intra- und interregionalen Strukturen.“

Die Unwilligkeit des Globalen Westens unter Führung der USA, die vom Nicht-Westen geforderten strukturellen Reformen tatsächlich zu unterstützen, war und ist offensichtlich. Bislang herrscht im Westen das Denken vor, den eigenen wohl unaufhaltsamen relativen Machtverlust nicht auch noch durch strukturelle Reformen institutionell zu befördern und zu besiegeln. Entsprechend reagiert der globale Nicht-Westen zunehmend selbstbewusst: Unter Führung Chinas und Russlands wurde in den letzten 20 Jahren damit begonnen, alternative regionale Regierungsorganisationen und inter-regionale Bündnisse zu gründen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) sowie die BRICS-Staaten.

Exkurs

Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO)

Die SCO wurde 2001 von sechs Staaten (Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und China) gegründet.

Zwischenzeitlich sind auch Indien, Iran und Pakistan der Organisation beigetreten, wodurch die SCO zur größten Regionalorganisation geworden ist, die für rund 40 Prozent der Weltbevölkerung steht. Weitere Staaten besitzen Beobachterstatus, sind Gastteilnehmer oder Dialogpartner, darunter das NATO-Mitglied Türkei. Der Hauptsitz der Organisation ist Peking, China. Dem Selbstverständnis nach widmet sich die SCO nahezu allen politischen Feldern der Region, die einer Förderung der zwischenstaatlichen Kooperation zum Zwecke der Schaffung der regionalen Stabilität bedürfen. Die Schwerpunkte sind sowohl wirtschafts- und handelspolitische als auch sicherheitspolitische Themen des asiatischen Großraumes. Es geht tatsächlich auch darum, den Westen als Gestaltungs- und Machtfaktor aus der Region zu verdrängen bzw. fernzuhalten. Der Entscheidungsmodus ist das Konsensprinzip. Wie weit das Konsensprinzip künftig angesichts des Wunsches weiterer Staaten, dem Bündnis beizutreten, aufrecht zu erhalten ist, ist offen.

BRICS(+)

Die BRICS-Gruppierung wurde 2006 gegründet. Sie ist zwar keine formale Organisation wie die SCO, verfügt also nicht über eigene feste Organisationsstrukturen und einen entsprechenden institutionellen Standort. Ihre Bedeutung auch als „nur“ kooperierende Staatengruppe ist dennoch nicht zu unterschätzen. Die abwechselnd in den Hauptstädten der Teilnehmerstaaten jährlich stattfindenden Gipfeltreffen (dieses Jahr in Russland) sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Regierungen diesem Staatenbündnis eine hohe politische Relevanz zuweisen. Offiziell gehören dazu: Brasilien (B), Russland (R), Indien (I), China (C) und Südafrika (S) sowie die seit 1. Januar 2024 Neumitglieder „+“, also BRICS+ (Ägypten, Äthiopien, Iran und Vereinigte Arabische Emirate). Saudi-Arabien ist eingeladen, hat jedoch noch keine abschließende Entscheidung über eine Vollmitgliedschaft getroffen.

Die BRICS+-Staaten repräsentieren rund 45 Prozent der Weltbevölkerung (G7 vergleichsweise nur 10 Prozent) und 34 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes (G7 vergleichsweise 30 Prozent), laut dem Statistischem Bundesamt.

Das BRICS-Format ist kein reines regionales Konsultationsforum, also auf den asiatischen Kontinent begrenzt, sondern agiert, anders als die SCO, interregional. Die Mitgliedschaften Südafrikas sowie Brasiliens und neuerdings Ägyptens verweisen auf die hohe globale Attraktivität des Bündnisses auch für den afrikanischen und lateinamerikanischen Kontinent. Bereits 2014 beschlossen die BRICS-Staaten, eine alternative „Entwicklungsbank“ und einen „Währungsfonds“ mit Sitz in China zu gründen als Antwort auf die schleppenden Reformen des IWF hinsichtlich der von den Schwellenländern geforderten Einflussmöglichkeiten.

Warum aber beschleunigt sich der globale Wandlungsprozess gerade jetzt und erst jetzt?

Erstens, da die Bildung neuer Strukturen – auch und insbesondere auf internationaler Ebene – sehr zeitintensiv ist und erst im Laufe der Zeit sich dieser Prozess auf der Grundlage der ersten geschaffenen Strukturen zu beschleunigen beginnt.

Zweitens aufgrund signifikanter politischer Veränderungen und Herausforderungen, die einen Impetus für den beschleunigten Aufbau alternativer Strukturen und Institutionen bilden. Das sind ganz konkret der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der rasch den Charakter eines Stellvertreterkrieges zwischen dem Westen und Russland annahm, sowie die Vorgeschichte des Krieges (NATO-Osterweiterung generell und damit verbunden die faktisch einseitige Beerdigung der „Charta von Paris“ und speziell seit Ende 2013 mit Blick auf die Ukraine), die darauf folgenden – jedoch nicht wirksamen – unilateralen westlichen Sanktionen und russischen Gegensanktionen, der Rauswurf Russlands aus dem SWIFT-Währungssystems, was einen für den Rest der Welt alarmierenden Präzedenzcharakter darstellt, und nicht zuletzt die sehr einseitige Positionierung und politische Unterstützung – inklusive Waffenlieferungen – des Westens auf Seiten Israels nach dem Terrorangriff der Hamas, was vor allem auch in den muslimisch geprägten Staaten und deren Bevölkerungen mindestens für Unverständnis sorgt. Diese politischen Realitäten der letzten Jahre haben dem Multipolarisierungsprozess einen enormen Schub verliehen, dessen Geschwindigkeit weiter zunimmt, wie beispielsweise durch die forcierte De-Dollarisierung im Welthandel.

Dass diese rasante Entwicklung auch im Westen so langsam die Diskussionsbereitschaft befördert, zeigt ein Beitrag des European Council on Foreign Affairs (ECFR), einer europäischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin. Dieser veröffentlichte Anfang 2023 einen beachtenswerten „Policy Brief“ mit dem Titel: „United West, divided from the Rest“ („Der Westen vereinigt, aber vom Rest getrennt“). Zusammengefasst kommt das Papier zu dem Ergebnis: Der Westen sei angesichts des Krieges zwar enger zusammengerückt, jedoch verwandle sich die Welt in eine post-westliche, genauer in eine multipolare Welt und das Selbstbewusstsein der nicht-westlichen Staaten wachse.[1]

Mit anderen Worten: Die Staaten der nichtwestlichen Welt akzeptieren immer weniger die seit Jahrhunderten währende westzentrierte Weltordnung und ihre Institutionen in den internationalen Beziehungen.

Transatlantische Welt versus Rest der Welt – wo stehen Europa und Deutschland?

Die Feststellung des ECFR „United West, divided from the Rest“ bezeichnet im Grunde die Kampflinie und die sich gegenüberstehenden Teams. Und im transatlantischen Team ist Europa, wollte man es wohlwollend formulieren, der Juniorpartner. Im „Rest der Welt“-Team gibt es unterschiedliche Fraktionen, die jedoch eine gemeinsame Grundlage haben: Beendigung der westlichen Globaldominanz, Aufbau multipolarer Strukturen und die unverhandelbare Geltung des vom Westen gegenüber dem Rest der Welt wenig geschätzten staatlichen Souveränitätsprinzips.

An der Spitze dieses Aufbruchs stehen Russland, China und der Iran. Sie sind die großen Akteure, die den Westen direkt und auch militärisch herausfordern. Indien, Südafrika, Ägypten, aber auch Nicht-BRICS-Staaten wie Indonesien etc. vertreten die Fraktion der Staaten, die nicht mehr gewillt sind, ihre nationalen Interessen den westlichen Interessen unterzuordnen, und die Respekt vor der Souveränität ihrer Staaten ebenso einfordern wie ein Mitspracherecht bei der Mitgestaltung der internationalen Politik – wenn sie auch ihren Anspruch nicht so konfrontativ formulieren wie Russland, China oder der Iran. Ihr Widerstand äußert sich zum großen Teil in einer Form der Gehorsamsverweigerung: Beispielsweise in der Verweigerung, das westliche Narrativ des russisch-ukrainischen Krieges zu übernehmen. Dies äußert sich weiter in harten politischen Entscheidungen wie der Verweigerung, sich den westlichen Forderungen nach Übernahme der unilateralen Sanktionen gegen Russland unterzuordnen. Oder auch der Verweigerung, der Ukraine Waffen zu liefern.

Lange Zeit ging man im Westen ganz selbstgerecht davon aus, dass die politischen, ökonomischen und kulturellen Differenzen zwischen den Ländern des Nicht-Westens ein ewiger Garant gegen einen vom Westen unabhängigen intra- und interregionalen Integrationsraum darstellen würden. Die Wirklichkeit schaut anders aus: Die Tatsache, dass diese Länder des Nicht-Westens trotz der oben genannten Differenzen eine Bereitschaft zu unterschiedlichen Integrationsformen und -dichten erklären, könnte man auch als ein hartes Indiz ihrer Entschlossenheit interpretieren, sich nicht mehr auseinanderdividieren zu lassen, sondern sich der westlichen Hybris entgegenzustellen. Das scheint der Grundkonsens des Nicht-Westens zu sein.

Quelle: onestopmap.com

Wo bleiben Europa und Deutschland?

Asien entwickelt sich rasch zum globalen Wirtschafts- und Handelszentrum des Globus – angetrieben durch die enormen Wirtschaftsdynamiken Chinas, aber auch anderer südostasiatischer Staaten. Russland wendet sich ökonomisch von Europa ab und Asien zu. Schaut man sich die Weltkarte einmal ganz unvoreingenommen an, so kann man die Position Europas auf zweifache Weise interpretieren:

In der Vergangenheit war Europa tatsächlich der Nabel der Welt. Der eurasische Superkontinent war von Osteuropa bis Südostasien gewissermaßen ein Anhängsel Europas, ein „Gestaltungsraum“ Westeuropas, ein kolonialer Ausbeutungsraum sowie eine billige Rohstoffkammer. Der Wandel im 21. Jahrhundert führt jedoch dazu, dass der westeuropäische Teil Eurasiens (EU-Europa) ein Anhängsel Eurasiens oder gar ein abgetrennter Teil von Eurasien werden könnte. Ein von Eurasien abgetrennter Teil, der zusammen mit den USA und Kanada die atlantische Welt darstellt.

Welche Rolle Europa und Deutschland in dieser atlantischen Welt darstellen werden, ist noch nicht eindeutig geklärt. Aber ein west- und mitteleuropäisches Rest-Europa, das sich ohne Nöte seiner nicht-westlichen Handels- und Wirtschaftspartner entledigt und seinen Handel zunehmend und überwiegend atlantisiert, begibt sich in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von den USA. Diejenigen, die die Energieabhängigkeit von Russland kritisierten, sind wiederum sehr blind für die sich anbahnende Abhängigkeit vom US-amerikanischen Markt. Ein Beispiel seiner Selbstaufgabe ist der Umgang mit dem chinesischen High-Tech-Riesen Huawei:

Laut Medienberichterstattung ist Huawei wohl auch auf US-amerikanischen Druck aus Europa abgezogen worden.[2] Es handelt sich also um nichts weniger als um eine direkte und erfolgreiche US-Einmischung in europäische Angelegenheiten. Das zeigt, wie wenig Europa seine Souveränität selbst ernst nimmt.

Diese Selbstaufgabe EU-Europas zu Gunsten der USA führt dazu, dass Europa kein eigenständiger Akteur der Weltpolitik sein wird. Der Einfluss EU-Europas und Deutschlands auf das Weltgeschehen erodiert derweil vor unseren Augen.

Der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler äußerte in einem Interview mit t-online unter dem Titel „Fünf Mächte werden die neue Weltordnung bestimmen“ bereits handfeste Zweifel an der Zukunft EU-Europas:

„(…) Ich bin nicht sicher, ob sich die Europäische Union auf Dauer im besagten „Direktorium“ wird halten können. (…). Eine Mitgliedschaft innerhalb der fünf globalen Führungsmächte ist aber kein Selbstläufer – eine Macht kann jederzeit herausfallen und durch eine andere ersetzt werden. Keine sonderlich angenehme Vorstellung, denn dann diktieren uns andere die Regeln.“

Interessenbasierte multivektorale Außen-, Außenwirtschafts- und Handelspolitik

Außen-, wirtschafts- und handelspolitische Souveränität heißt, als Staat und Staatenbund frei seine Kooperations- und Handelspartner gemäß der eigenen Interessenlage wählen und externe Einmischung erfolgreich abwehren zu können. Das neue Zauberwort vermeintlicher Souveränität aus dem Munde der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist „de-risking“ in wirtschafts- und handelspolitischen Fragen. Also, sämtliche handels- und wirtschaftspolitischen Beziehungen sollen auf eine Risikobehaftung überprüft und ggf. eingestellt werden wie beispielsweise im Hochtechnologiebereich – siehe Huawei.

Da ist zunächst einmal nichts gegen einzuwenden, es wäre eine souveräne Maßnahme. „Zunächst“ jedoch deshalb, weil es nur selektiv auf China und ggf. andere nicht-westliche Staaten Anwendung finden soll. De-risking wäre indessen ein Ausdruck souveränen Handelns, wenn es auf alle handels- und wirtschaftspolitischen Beziehungen Anwendung fände, losgelöst von der ideologischen und instrumentellen Komponente. Denn dass die USA auch ihre „Freunde“ beobachten, ist spätestens durch die Snowden-Enthüllungen nicht mehr zu bestreiten. Nur in der universellen Anwendung wäre „de-risking“ ein Instrument der Demonstration von Stärke und Souveränität.

Befreiung vom ideologischen Überbau des Transatlantizismus

Wer eigenständiger Akteur in der Weltpolitik nicht nur rhetorisch, sondern auch operativ sein will, muss sich von seinem ideologisch basierten Unterwürfigkeitsverhalten befreien.

Ein überidealisiertes Bild von der deutsch-US-amerikanischen respektive EU-US-amerikanischen Partnerschaft bis hin zu einem ideologischen Transatlantizismus macht blind und taub für die politische Wirklichkeit. Diese Blind-Taubheit erschwert es, die eigenen Interessen nüchtern und verstandesorientiert, mithin realpolitisch, zu identifizieren und zu formulieren. Zur Beschreibung der eigenen Interessen gehört sicherlich nicht die Identitätsbeschreibung US-amerikanischer Interessen mit den europäischen respektive deutschen Interessen. Dieses Identifizieren und selbstbewusste Formulieren eigener Interessen ist im globalen Interregnum, mithin des globalen Umbruchprozesses, besonders wichtig, um sich seinen Platz in der neuen Weltordnung zu sichern. Ist die neue Weltordnung erst einmal strukturiert, sind die Regeln gesetzt, ist faktisch geklärt, wer Subjekt und wer Objekt in der Weltpolitik ist, dann ist es für (EU-)Europa auf lange Sicht kaum mehr möglich, eigenständige, an eigenen Interessen orientierte Politik zu formulieren.

Oder anders ausgedrückt: Vermögen es die USA, die Welt außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch zu entkoppeln, sie also aufzuteilen, ja geradezu zu bipolarisieren (vorzugsweise mit ideologischen und wertebasierten Argumenten – hier „gute“ Demokratien, dort „böse“ Autokratien/Diktaturen) und Europa darin an der Seite der USA als westlichen Block zu verpflichten, dann wäre Europa im Block der selbsternannten „Guten“ gefangen und sodann in seinen Handlungsspielräumen zum eigenen Schaden dauerhaft eingeschränkt bzw. vom Goodwill Washingtons abhängig. Die USA verstehen das Spiel der Realpolitik. Mehr noch, sie verstehen es auch hervorragend, mit Werten und der transatlantischen Ideologie zu spielen, um die naiven Europäer bei der Stange zu halten.

Fazit

Eine Entideologisierung der europäisch-US-amerikanischen Beziehungen sowie eine Zurückholung europäischer und deutscher Souveränität heißt nicht, dass die Beziehungen zu den USA eingestellt werden sollten. Dafür gibt es keinen Grund – es wäre unpolitisch. Es heißt aber, dass diese Beziehungen von einseitig romantischer Lyrik befreit, durch eine rationale und nüchterne Brille betrachtet sowie auf eine gesunde Stufe gestellt werden. Also Realpolitik, d.h. multivektorale Interessenpolitik, statt wertebasierte Romantik. Europa muss für sich selbst Verantwortung übernehmen.

Titelbild: Shutterstock / NicoElNino


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Auch in diesem Jahr finden zwei sehr interessante internationale Gipfel statt, die für eine neue globale Entwicklung stehen. Der bereits im Juni stattgefundene G7-Gipfel in Italien sowie der BRICS+-Gipfel in Russland im Oktober. Auffällig ist, dass die Weltorganisation UNO immer weniger im Rampenlicht steht und stattdessen seit Jahren die G7, die G20 und mittlerweile das BRICS-Format – also interregionale Foren und Organisationen die internationale Bühne bestimmen. Die Marginalisierung der UNO ist jedoch nicht ein Ergebnis des Multipolarisierungsprozesses. Seine Anfänge liegen vielmehr in der Missachtung, ja sogar Verachtung der UNO während der Phase der unipolaren Weltordnung, der Pax Americana der 1990er- und 2000er-Jahre. Die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens (Jugoslawien 1999, Irak 2003, in gewissem Maße auch Libyen 2011 sowie die selbstherrliche Neuinterpretation des Völkerrechts bei der Zerlegung Jugoslawiens etc.) haben den Status und die Autorität der UNO nachhaltig erodieren lassen. Von Alexander Neu.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Aufkommen neuer interregionaler Foren und Regierungsorganisationen sind in Verbindung mit dem Erstarken des Nicht-Westens nahezu logische Entwicklungen. Wie bereits in vorangegangenen Beiträgen (beispielsweise hier) beschrieben, nimmt der weltpolitische Veränderungsprozess, der nichts weniger als einen Epochenbruch darstellt, auch strukturell immer rasanter an Fahrt auf. War der Begriff BRICS bis Anfang/Mitte der 2010er-Jahre ein Begriff, mit dem nur Fachleute und ein paar informierte Journalisten etwas anfangen konnten, so ist der internationale Wandlungsprozess und damit einhergehend sind die neu geschaffenen Strukturen, wie die BRICS+ und die SCO, nicht mehr zu übersehen bzw. totzuschweigen. Die Öffentlichkeit in Deutschland und in Europa wird zwar immer noch nicht hinreichend über diesen historischen Wandel zum Nachteil der westlichen Welt seitens der Mainstreammedien und der Politik informiert, vor allem nicht neutral, aber das öffentliche Interesse wächst. Dazu tragen zumindest die alternativen Medien bei.

Der sich abzeichnende Epochenbruch begann langsam, sehr langsam noch in den 2000er-Jahren. Die Enttäuschung über die westliche Hybris, der Welt die westlichen Werte und vor allem die westlichen Interessen aufzudrücken, war unübersehbar. Hier exemplarisch das Buch mit dem Titel „Macht und Ohnmacht“ des US-amerikanischen Neo-Cons Robert Kagan, zufällig auch der Ehemann von Victoria „Fuck-the-EU“ Nuland, aus dem Jahre 2003. In dem unterschied Kagan in klassisch kolonialistischer Weise zwischen dem Westen als Paradies und dem Rest der Welt als Dschungel, für den das Völkerrecht so nicht gelten könne. Ähnlich äußerte sich auch die EU-Außenkoryphäe J. Borrell 2022:

„Wir sind ein Garten, der Rest der Welt ist ein Dschungel.“

Im Gegensatz zu den Jahrhunderten davor bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts führte die Erkenntnis über die fortgesetzte westliche Hybris mit Alleinvertretungs- und Missionierungsanspruch für die Zivilisation nicht in Resignation und Unterwerfung, sondern in der Erkenntnis angesichts der Dynamiken, insbesondere in China, Indien und Russland: „Wenn ihr uns nicht als gleichberechtigte Akteure in den bestehenden internationalen Strukturen (WTO, Weltbank, IWF, UNO-Sicherheitsrat etc.) akzeptieren wollt, schaffen wir uns unsere eigenen intra- und interregionalen Strukturen.“

Die Unwilligkeit des Globalen Westens unter Führung der USA, die vom Nicht-Westen geforderten strukturellen Reformen tatsächlich zu unterstützen, war und ist offensichtlich. Bislang herrscht im Westen das Denken vor, den eigenen wohl unaufhaltsamen relativen Machtverlust nicht auch noch durch strukturelle Reformen institutionell zu befördern und zu besiegeln. Entsprechend reagiert der globale Nicht-Westen zunehmend selbstbewusst: Unter Führung Chinas und Russlands wurde in den letzten 20 Jahren damit begonnen, alternative regionale Regierungsorganisationen und inter-regionale Bündnisse zu gründen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) sowie die BRICS-Staaten.

Exkurs

Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO)

Die SCO wurde 2001 von sechs Staaten (Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und China) gegründet.

Zwischenzeitlich sind auch Indien, Iran und Pakistan der Organisation beigetreten, wodurch die SCO zur größten Regionalorganisation geworden ist, die für rund 40 Prozent der Weltbevölkerung steht. Weitere Staaten besitzen Beobachterstatus, sind Gastteilnehmer oder Dialogpartner, darunter das NATO-Mitglied Türkei. Der Hauptsitz der Organisation ist Peking, China. Dem Selbstverständnis nach widmet sich die SCO nahezu allen politischen Feldern der Region, die einer Förderung der zwischenstaatlichen Kooperation zum Zwecke der Schaffung der regionalen Stabilität bedürfen. Die Schwerpunkte sind sowohl wirtschafts- und handelspolitische als auch sicherheitspolitische Themen des asiatischen Großraumes. Es geht tatsächlich auch darum, den Westen als Gestaltungs- und Machtfaktor aus der Region zu verdrängen bzw. fernzuhalten. Der Entscheidungsmodus ist das Konsensprinzip. Wie weit das Konsensprinzip künftig angesichts des Wunsches weiterer Staaten, dem Bündnis beizutreten, aufrecht zu erhalten ist, ist offen.

BRICS(+)

Die BRICS-Gruppierung wurde 2006 gegründet. Sie ist zwar keine formale Organisation wie die SCO, verfügt also nicht über eigene feste Organisationsstrukturen und einen entsprechenden institutionellen Standort. Ihre Bedeutung auch als „nur“ kooperierende Staatengruppe ist dennoch nicht zu unterschätzen. Die abwechselnd in den Hauptstädten der Teilnehmerstaaten jährlich stattfindenden Gipfeltreffen (dieses Jahr in Russland) sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Regierungen diesem Staatenbündnis eine hohe politische Relevanz zuweisen. Offiziell gehören dazu: Brasilien (B), Russland (R), Indien (I), China (C) und Südafrika (S) sowie die seit 1. Januar 2024 Neumitglieder „+“, also BRICS+ (Ägypten, Äthiopien, Iran und Vereinigte Arabische Emirate). Saudi-Arabien ist eingeladen, hat jedoch noch keine abschließende Entscheidung über eine Vollmitgliedschaft getroffen.

Die BRICS+-Staaten repräsentieren rund 45 Prozent der Weltbevölkerung (G7 vergleichsweise nur 10 Prozent) und 34 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes (G7 vergleichsweise 30 Prozent), laut dem Statistischem Bundesamt.

Das BRICS-Format ist kein reines regionales Konsultationsforum, also auf den asiatischen Kontinent begrenzt, sondern agiert, anders als die SCO, interregional. Die Mitgliedschaften Südafrikas sowie Brasiliens und neuerdings Ägyptens verweisen auf die hohe globale Attraktivität des Bündnisses auch für den afrikanischen und lateinamerikanischen Kontinent. Bereits 2014 beschlossen die BRICS-Staaten, eine alternative „Entwicklungsbank“ und einen „Währungsfonds“ mit Sitz in China zu gründen als Antwort auf die schleppenden Reformen des IWF hinsichtlich der von den Schwellenländern geforderten Einflussmöglichkeiten.

Warum aber beschleunigt sich der globale Wandlungsprozess gerade jetzt und erst jetzt?

Erstens, da die Bildung neuer Strukturen – auch und insbesondere auf internationaler Ebene – sehr zeitintensiv ist und erst im Laufe der Zeit sich dieser Prozess auf der Grundlage der ersten geschaffenen Strukturen zu beschleunigen beginnt.

Zweitens aufgrund signifikanter politischer Veränderungen und Herausforderungen, die einen Impetus für den beschleunigten Aufbau alternativer Strukturen und Institutionen bilden. Das sind ganz konkret der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der rasch den Charakter eines Stellvertreterkrieges zwischen dem Westen und Russland annahm, sowie die Vorgeschichte des Krieges (NATO-Osterweiterung generell und damit verbunden die faktisch einseitige Beerdigung der „Charta von Paris“ und speziell seit Ende 2013 mit Blick auf die Ukraine), die darauf folgenden – jedoch nicht wirksamen – unilateralen westlichen Sanktionen und russischen Gegensanktionen, der Rauswurf Russlands aus dem SWIFT-Währungssystems, was einen für den Rest der Welt alarmierenden Präzedenzcharakter darstellt, und nicht zuletzt die sehr einseitige Positionierung und politische Unterstützung – inklusive Waffenlieferungen – des Westens auf Seiten Israels nach dem Terrorangriff der Hamas, was vor allem auch in den muslimisch geprägten Staaten und deren Bevölkerungen mindestens für Unverständnis sorgt. Diese politischen Realitäten der letzten Jahre haben dem Multipolarisierungsprozess einen enormen Schub verliehen, dessen Geschwindigkeit weiter zunimmt, wie beispielsweise durch die forcierte De-Dollarisierung im Welthandel.

Dass diese rasante Entwicklung auch im Westen so langsam die Diskussionsbereitschaft befördert, zeigt ein Beitrag des European Council on Foreign Affairs (ECFR), einer europäischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin. Dieser veröffentlichte Anfang 2023 einen beachtenswerten „Policy Brief“ mit dem Titel: „United West, divided from the Rest“ („Der Westen vereinigt, aber vom Rest getrennt“). Zusammengefasst kommt das Papier zu dem Ergebnis: Der Westen sei angesichts des Krieges zwar enger zusammengerückt, jedoch verwandle sich die Welt in eine post-westliche, genauer in eine multipolare Welt und das Selbstbewusstsein der nicht-westlichen Staaten wachse.[1]

Mit anderen Worten: Die Staaten der nichtwestlichen Welt akzeptieren immer weniger die seit Jahrhunderten währende westzentrierte Weltordnung und ihre Institutionen in den internationalen Beziehungen.

Transatlantische Welt versus Rest der Welt – wo stehen Europa und Deutschland?

Die Feststellung des ECFR „United West, divided from the Rest“ bezeichnet im Grunde die Kampflinie und die sich gegenüberstehenden Teams. Und im transatlantischen Team ist Europa, wollte man es wohlwollend formulieren, der Juniorpartner. Im „Rest der Welt“-Team gibt es unterschiedliche Fraktionen, die jedoch eine gemeinsame Grundlage haben: Beendigung der westlichen Globaldominanz, Aufbau multipolarer Strukturen und die unverhandelbare Geltung des vom Westen gegenüber dem Rest der Welt wenig geschätzten staatlichen Souveränitätsprinzips.

An der Spitze dieses Aufbruchs stehen Russland, China und der Iran. Sie sind die großen Akteure, die den Westen direkt und auch militärisch herausfordern. Indien, Südafrika, Ägypten, aber auch Nicht-BRICS-Staaten wie Indonesien etc. vertreten die Fraktion der Staaten, die nicht mehr gewillt sind, ihre nationalen Interessen den westlichen Interessen unterzuordnen, und die Respekt vor der Souveränität ihrer Staaten ebenso einfordern wie ein Mitspracherecht bei der Mitgestaltung der internationalen Politik – wenn sie auch ihren Anspruch nicht so konfrontativ formulieren wie Russland, China oder der Iran. Ihr Widerstand äußert sich zum großen Teil in einer Form der Gehorsamsverweigerung: Beispielsweise in der Verweigerung, das westliche Narrativ des russisch-ukrainischen Krieges zu übernehmen. Dies äußert sich weiter in harten politischen Entscheidungen wie der Verweigerung, sich den westlichen Forderungen nach Übernahme der unilateralen Sanktionen gegen Russland unterzuordnen. Oder auch der Verweigerung, der Ukraine Waffen zu liefern.

Lange Zeit ging man im Westen ganz selbstgerecht davon aus, dass die politischen, ökonomischen und kulturellen Differenzen zwischen den Ländern des Nicht-Westens ein ewiger Garant gegen einen vom Westen unabhängigen intra- und interregionalen Integrationsraum darstellen würden. Die Wirklichkeit schaut anders aus: Die Tatsache, dass diese Länder des Nicht-Westens trotz der oben genannten Differenzen eine Bereitschaft zu unterschiedlichen Integrationsformen und -dichten erklären, könnte man auch als ein hartes Indiz ihrer Entschlossenheit interpretieren, sich nicht mehr auseinanderdividieren zu lassen, sondern sich der westlichen Hybris entgegenzustellen. Das scheint der Grundkonsens des Nicht-Westens zu sein.

Quelle: onestopmap.com

Wo bleiben Europa und Deutschland?

Asien entwickelt sich rasch zum globalen Wirtschafts- und Handelszentrum des Globus – angetrieben durch die enormen Wirtschaftsdynamiken Chinas, aber auch anderer südostasiatischer Staaten. Russland wendet sich ökonomisch von Europa ab und Asien zu. Schaut man sich die Weltkarte einmal ganz unvoreingenommen an, so kann man die Position Europas auf zweifache Weise interpretieren:

In der Vergangenheit war Europa tatsächlich der Nabel der Welt. Der eurasische Superkontinent war von Osteuropa bis Südostasien gewissermaßen ein Anhängsel Europas, ein „Gestaltungsraum“ Westeuropas, ein kolonialer Ausbeutungsraum sowie eine billige Rohstoffkammer. Der Wandel im 21. Jahrhundert führt jedoch dazu, dass der westeuropäische Teil Eurasiens (EU-Europa) ein Anhängsel Eurasiens oder gar ein abgetrennter Teil von Eurasien werden könnte. Ein von Eurasien abgetrennter Teil, der zusammen mit den USA und Kanada die atlantische Welt darstellt.

Welche Rolle Europa und Deutschland in dieser atlantischen Welt darstellen werden, ist noch nicht eindeutig geklärt. Aber ein west- und mitteleuropäisches Rest-Europa, das sich ohne Nöte seiner nicht-westlichen Handels- und Wirtschaftspartner entledigt und seinen Handel zunehmend und überwiegend atlantisiert, begibt sich in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von den USA. Diejenigen, die die Energieabhängigkeit von Russland kritisierten, sind wiederum sehr blind für die sich anbahnende Abhängigkeit vom US-amerikanischen Markt. Ein Beispiel seiner Selbstaufgabe ist der Umgang mit dem chinesischen High-Tech-Riesen Huawei:

Laut Medienberichterstattung ist Huawei wohl auch auf US-amerikanischen Druck aus Europa abgezogen worden.[2] Es handelt sich also um nichts weniger als um eine direkte und erfolgreiche US-Einmischung in europäische Angelegenheiten. Das zeigt, wie wenig Europa seine Souveränität selbst ernst nimmt.

Diese Selbstaufgabe EU-Europas zu Gunsten der USA führt dazu, dass Europa kein eigenständiger Akteur der Weltpolitik sein wird. Der Einfluss EU-Europas und Deutschlands auf das Weltgeschehen erodiert derweil vor unseren Augen.

Der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler äußerte in einem Interview mit t-online unter dem Titel „Fünf Mächte werden die neue Weltordnung bestimmen“ bereits handfeste Zweifel an der Zukunft EU-Europas:

„(…) Ich bin nicht sicher, ob sich die Europäische Union auf Dauer im besagten „Direktorium“ wird halten können. (…). Eine Mitgliedschaft innerhalb der fünf globalen Führungsmächte ist aber kein Selbstläufer – eine Macht kann jederzeit herausfallen und durch eine andere ersetzt werden. Keine sonderlich angenehme Vorstellung, denn dann diktieren uns andere die Regeln.“

Interessenbasierte multivektorale Außen-, Außenwirtschafts- und Handelspolitik

Außen-, wirtschafts- und handelspolitische Souveränität heißt, als Staat und Staatenbund frei seine Kooperations- und Handelspartner gemäß der eigenen Interessenlage wählen und externe Einmischung erfolgreich abwehren zu können. Das neue Zauberwort vermeintlicher Souveränität aus dem Munde der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist „de-risking“ in wirtschafts- und handelspolitischen Fragen. Also, sämtliche handels- und wirtschaftspolitischen Beziehungen sollen auf eine Risikobehaftung überprüft und ggf. eingestellt werden wie beispielsweise im Hochtechnologiebereich – siehe Huawei.

Da ist zunächst einmal nichts gegen einzuwenden, es wäre eine souveräne Maßnahme. „Zunächst“ jedoch deshalb, weil es nur selektiv auf China und ggf. andere nicht-westliche Staaten Anwendung finden soll. De-risking wäre indessen ein Ausdruck souveränen Handelns, wenn es auf alle handels- und wirtschaftspolitischen Beziehungen Anwendung fände, losgelöst von der ideologischen und instrumentellen Komponente. Denn dass die USA auch ihre „Freunde“ beobachten, ist spätestens durch die Snowden-Enthüllungen nicht mehr zu bestreiten. Nur in der universellen Anwendung wäre „de-risking“ ein Instrument der Demonstration von Stärke und Souveränität.

Befreiung vom ideologischen Überbau des Transatlantizismus

Wer eigenständiger Akteur in der Weltpolitik nicht nur rhetorisch, sondern auch operativ sein will, muss sich von seinem ideologisch basierten Unterwürfigkeitsverhalten befreien.

Ein überidealisiertes Bild von der deutsch-US-amerikanischen respektive EU-US-amerikanischen Partnerschaft bis hin zu einem ideologischen Transatlantizismus macht blind und taub für die politische Wirklichkeit. Diese Blind-Taubheit erschwert es, die eigenen Interessen nüchtern und verstandesorientiert, mithin realpolitisch, zu identifizieren und zu formulieren. Zur Beschreibung der eigenen Interessen gehört sicherlich nicht die Identitätsbeschreibung US-amerikanischer Interessen mit den europäischen respektive deutschen Interessen. Dieses Identifizieren und selbstbewusste Formulieren eigener Interessen ist im globalen Interregnum, mithin des globalen Umbruchprozesses, besonders wichtig, um sich seinen Platz in der neuen Weltordnung zu sichern. Ist die neue Weltordnung erst einmal strukturiert, sind die Regeln gesetzt, ist faktisch geklärt, wer Subjekt und wer Objekt in der Weltpolitik ist, dann ist es für (EU-)Europa auf lange Sicht kaum mehr möglich, eigenständige, an eigenen Interessen orientierte Politik zu formulieren.

Oder anders ausgedrückt: Vermögen es die USA, die Welt außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch zu entkoppeln, sie also aufzuteilen, ja geradezu zu bipolarisieren (vorzugsweise mit ideologischen und wertebasierten Argumenten – hier „gute“ Demokratien, dort „böse“ Autokratien/Diktaturen) und Europa darin an der Seite der USA als westlichen Block zu verpflichten, dann wäre Europa im Block der selbsternannten „Guten“ gefangen und sodann in seinen Handlungsspielräumen zum eigenen Schaden dauerhaft eingeschränkt bzw. vom Goodwill Washingtons abhängig. Die USA verstehen das Spiel der Realpolitik. Mehr noch, sie verstehen es auch hervorragend, mit Werten und der transatlantischen Ideologie zu spielen, um die naiven Europäer bei der Stange zu halten.

Fazit

Eine Entideologisierung der europäisch-US-amerikanischen Beziehungen sowie eine Zurückholung europäischer und deutscher Souveränität heißt nicht, dass die Beziehungen zu den USA eingestellt werden sollten. Dafür gibt es keinen Grund – es wäre unpolitisch. Es heißt aber, dass diese Beziehungen von einseitig romantischer Lyrik befreit, durch eine rationale und nüchterne Brille betrachtet sowie auf eine gesunde Stufe gestellt werden. Also Realpolitik, d.h. multivektorale Interessenpolitik, statt wertebasierte Romantik. Europa muss für sich selbst Verantwortung übernehmen.

Titelbild: Shutterstock / NicoElNino


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